Bei der Aufarbeitung der Gräueltaten der ehemaligen Sekte Colonia Dignidad ist Chile einen wichtigen Schritt vorangekommen. Mehrere Minister unterzeichneten in der chilenischen Hauptstadt Santiago de Chile ein Dekret zur Teilenteignung des Ortskerns der früheren Siedlung, in der die Sektenmitglieder lebten. Dort soll eine Gedenkstätte errichtet werden. "Die Gedenkstätte ermöglicht uns zu sagen, dass solche Abscheulichkeiten nie wieder vorkommen werden", sagte Justizminister Jaime Gajardo bei der Unterzeichnung.

Die Sekte Colonia Dignidad, zu Deutsch "Siedlung der Würde", wurde 1961 vom Laienprediger Paul Schäfer gegründet, der wegen sexuellen Missbrauchs aus Deutschland geflohen war. In der Siedlung waren Zwangsarbeit, Gewalt und sexueller Missbrauch an der Tagesordnung. Während der chilenischen Militärdiktatur (1973 bis 1990) diente das Gelände als geheimes Folterzentrum. Mehr als 100 Menschen wurden dort ermordet.

Mehr als drei Jahrzehnte nach der Gründung floh Schäfer im Jahr 1996 vor der chilenischen Militärdiktatur, und die Siedlung öffnete sich allmählich. Ein Teil der ehemaligen Sektenmitglieder lebt bis heute auf dem Gelände. Sie betreiben dort Landwirtschaft und Gastronomie mit bayerischem Flair. Auch diese Betriebe sind von der Enteignung betroffen.

Während Menschenrechtsorganisationen den Schritt der chilenischen Regierung begrüßten, stehen die Vertreter der Unternehmen, die aus der Colonia Dignidad hervorgegangen sind, der Entscheidung kritisch gegenüber. Sie sehen in der Enteignung den Verlust einer wichtigen Einnahmequelle der Siedler.

Winfried Hempel, Sprecher einer Gruppe, die sich von der Unternehmensführung distanziert, schrieb hingegen auf der Plattform X: "Chile holt sich einen Teil seines Landes zurück, das von einer Handvoll Deutscher besetzt wurde, die nur Tod, Leid und Böses gebracht haben."